Der zweite Teil der Dokumentation von Frau Andrea Jacob. Unter dem
Titel “Unheilige Allianzen zwischen Gutachtern und Behörden” beschrieb sie den
“Fall” Gustl Mollath und das staatliche Vorgehen gegen Steuerfahnder, die man
kurzerhand als psychisch gestört aus ihrem Amt mobbte, als sie
Steuerhinterzieher dingfest machen wollten.
Hier folgt nun eine weitere Geschichte der vorsätzlich betriebenen
Entfremdung der Kinder von ihrem Vater Professor Dr. Christidis.
Der Gießener Professor Dr. Christidis wurde im Jahr 2001 von
der Anklage durch die Berliner Staatsanwaltschaft wegen Aufrufs zum
militärischen Ungehorsam freigesprochen. Er hatte 1999 in einer Zeitungsanzeige
mit anderen Kriegsgegnern den Jugoslawienkrieg für völkerrechtswidrig erklärt
und dadurch deutschen Soldaten indirekt nahegelegt, ihren illegalen Einsatz und
die Bombardierung eines europäischen Landes zu verweigern. Das Berliner
Kammergericht bescheinigte ihm am 16.08.2001 letztinstanzlich, dass er das
Grundgesetz der BRD verteidigt habe.
Die zeitgleich laufende Berufung auf seine Professur konnte er noch ohne
Gerichtsbeschluss antreten: Das (damals FDP-geführte) hessische
Wissenschaftsministerium (HMWK) hatte ihm mitgeteilt, man könne nicht ins
Beamtenverhältnis auf Lebenszeit jemanden berufen, der Regierungen so offen
kritisiere. Nach Kündigung einer lukrativen Anstellung in der
Industrie und Ablehnung zweier anderer Professuren in anderen Bundesländern
wollte Christidis nicht schon den zweiten Prozess in seinem Leben führen und
war glücklich, erfolgreiche Überzeugungsarbeit zu leisten.
In Hessen mauserte sich Prof. Christidis zu einem gerichtsbekannten
Streiter; denn ab 2005 lief seine Scheidung. Die anfänglich etwa
gleichen Erziehungsrechte gegenüber den beiden Söhnen schrumpften mit immer
neuen Gerichtsbeschlüssen auf spärliche Begegnungen, (Zitat) „um
der Tatsache Rechnung zu tragen, dass beide Kinder zwischenzeitlich sportliche
Aktivitäten aufgenommen haben“: Fußball-Trainer sollten nach und nach den
Vater ersetzen.
Im Jahr 2009 zeigte Christidis dann offen Verständnisprobleme mit dem Umgang
des Familiengerichts in einer weiteren Sorgerechtsangelegenheit: Trotz
gemeinsamen Sorgerechts hatte seine geschiedene Frau in seiner Abwesenheit
die beiden Söhne beschneiden lassen. Als Begründung führte sie an, dies sei
(Zitat) „später schöner für die Frauen“. Während der einzigen zwei
Wochen, die der Vater in diesem Jahr verreist und nur telefonisch erreichbar
war, zerrte sie die Kinder zum Urologen und gab an, über die alleinige
elterliche Sorge zu verfügen.
Eine Strafanzeige fruchtete nicht: Die Staatsanwaltschaft Gießen
erachtete die Falschbeurkundungen der Mutter als Versehen. Die von
der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main eingesetzte Staatsanwältin
beurteilte sogar die Genitalverstümmelung der Kinder als „Schönheitsideal“ und
deshalb als kindeswohldienlich.
Der Professor zog vor das Familiengericht: Wenn Kinder von der eigenen
Mutter im Namen eines von ihr so verstandenen Frauenrechts genital verstümmelt
werden, ist ein gemeinsames Sorgerecht nicht mehr praktizierbar.
Die zuständige Gießener Richterin Keßler-Bechtold teilte diese
Auffassung – und übertrug das alleinige Sorgerecht auf die Kindesmutter. Um
keine Fehler zu machen, hatte die Richterin zuvor ein familienpsychologisches
Gutachten in Auftrag gegeben. Die beauftragte Psychologin kam, sah – und
verschwand. Als die dreimonatige Frist für das Gutachten nahezu
verdoppelt war, erklärte der Professor die Sachverständige für befangen: Die
Verstümmelung der Kinder lag inzwischen fast ein Jahr zurück, und in der
Zwischenzeit hatte er die Kinder nicht einmal fragen können, ob bzw. welcher
Terror der Gewaltmaßnahme vorausgegangen war.
Professor Christidis unternahm zunächst nichts gegen das ausgebliebene
Gutachten, er war mit dem Entzug seines Sorgerechts beschäftigt. Als er die
Rechnung über 9.376,75 EUR begleichen sollte, wollte er wissen, wofür.
Daraufhin verlangte die Richterin von ihm eine verbindliche Erklärung, dass das
Gutachten überhaupt verfasst werden solle. Sie bekam sie.
Eineinviertel Jahre nach Auftragserteilung und ein Dreivierteljahr nach
Entzug des Sorgerechts erblickte das Gutachten erstmalig das Licht der Welt im
Juni 2011. Auf der Grundlage der erfolgten Untersuchungen mit den
Kindern wurde darin dem Professor eine paranoid querulatorische Persönlichkeitsstörung
bescheinigt: eine psychiatrische Diagnose, zu der die Psychologin weder befugt,
noch befähigt ist. Um sämtlichen Missverständnissen vorzubeugen,
hatte zudem die Sachverständige ihre „Erkenntnisse“ aus der Untersuchung der
verstümmelten Kinder auch auf die Dienstfähigkeit des Hochschullehrers bezogen,
indem sie dem Ferndiagnostizierten die Ressourcen für (Zitat) „ein
(zumindest durchschnittliches) berufliches Engagement“ in Frage stellte.
Sofort nach Erhalt seiner „Diagnose“ ließ sich Professor Christidis
von einem namhaften Professor für Psychiatrie und Gerichtsgutachter
untersuchen; dieser bestätigte ihm eine gesunde Psyche. Darüber hinaus
ließ Christidis zumindest die gutachterliche Tätigkeit der vom Gießener
Familiengericht gern und häufig beauftragten Gutachterin von drei renommierten
Professoren für Psychologie prüfen. Sie alle kamen unabhängig voneinander zum
Ergebnis, das Gutachten sei nicht verwertbar. Ab da brachte er kein Verständnis
für die Verfahrensweise der Sachverständigen, des Gerichts und der
Staatsanwaltschaft auf. Er verklagte die Gutachterin auf Unterlassung.
Das öffentliche Verfahren Prof. Christidis ./. Dipl.-Psych. Leopold-Linke
vor dem Landgericht Gießen stieß auf öffentliches Interesse. Vor allem führte es
aber dazu, dass mindestens vier weitere Opfer von Gefälligkeitsgutachten
derselben Richterin und derselben Gutachterin sich zu erkennen gaben und Mut zu
eigenen Klagen schöpften. Bei der Verhandlung am 15.03.2012 widerrief
die Gutachterin ihr Gutachten und verpflichtete sich freiwillig zur
Unterlassung der dort getroffenen Aussagen. Ohne jegliche fachliche
Auseinandersetzung vernichtete sie damit das, was sie zuvor als Resultat
harter, gewissenhafter Arbeit (auch im Interesse der hessischen Hochschulwelt)
hingestellt hatte.
Über den Prozess wurde lokal
berichtet:
http://www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/63361/vor-gericht-gibt-es-in-giessen-eine-falschgutachten-industrie/Die zugrunde liegende rechtliche Konstruktion scheint, wasserdicht zu sein:
Richterin Keßler-Bechtold hat mit dem in Auftrag gegebenen Gutachten ihre
Gewissenhaftigkeit und ihre Sensibilität gegenüber dem Leid der Kinder
gezeigt. Nachdem der Kindesvater gegenüber der Gutachterin die Besorgnis der
Befangenheit zum Ausdruck brachte, weil sie auch zwei Monate nach Ablauf der
Dreimonatsfrist nichts über die Lebensumstände der Kinder schrieb, die sie
mündlich z.T. als (Zitat) „
schlimm“ bezeichnet hatte, nahm sich die
Richterin das Recht, sich dennoch für der Psychologie mächtig zu erklären und
von ihrem Schreibtisch aus die Kinder bei der Kindesmutter für gut aufgehoben
zu erklären; sie darf das.
Die auf Lebenszeit „demokratisch
legitimierte“ Richterin könnte sich sogar im Bedarfsfall (falls sie sich vor
ihren Kollegen rechtfertigen muss) auf das Gefälligkeitsgutachten berufen.Die Gutachterin braucht sich nichts vorwerfen zu lassen: Immerhin ist kein
Gerichtsbeschluss auf der Grundlage ihres Gutachtens gefasst worden. Die urteilenden
Landrichter und Oberlandesrichter interpretierten zudem ihren Widerruf als
Eingeständnis eines Fehlers (was die Psychologin nie zugab). Für einen Fehler
können sie, so die Richter, nicht die Arbeit der Sachverständigen unhonoriert
lassen: Die fast 10.000 EUR seien zu Recht vorgestreckt und Christidis
nachträglich aufgebürdet worden – ja umgekehrt: Der bereitwillige Widerruf
bewies, dass es die Psychologin gar nicht so ernst gemeint hatte, ein Prozess
wäre nicht notwendig gewesen: Der Professor hat auch die Gerichts- und die
Anwaltskosten beider Seiten zu tragen.
Prinzipiell hätte Christidis das Gutachten hinnehmen und sich
frühpensionieren lassen können, um fortan, neben seiner Pension, nur noch
private, lukrative Projekte anzunehmen, wozu im Berufsalltag die Zeit fehlt.
Durch den Widerruf würde er aber damit nur seine Pension vorzeitig
erschleichen: Sich auf das widerrufene Gutachten zu berufen, wäre Betrug – im
Gegensatz zum Verfassen des Gefälligkeitswerks.
Diese genannten Fälle lassen zumindest den Eindruck von
organisierten Seilschaften entstehen. Das Mittel der Psychiatrisierung wird
also auch bei uns in Deutschland angewandt. Und sogar dann, wenn es um das
Schicksal und das Zusammenleben von Eltern und Kind geht. Die scheinbare
Unangreifbarkeit von Ämtern tut ihr Übriges um das Glück und die Familie zu
zerstören.Es liegt die Frage nahe, durch welche Sozialisierung werden Richter
und Amtspersonen so geformt, dass sie solche Methoden anwenden?In der dritten Folge geht Frau Andrea Jacob auf das Wirken von Justiz und
Amt, insbesondere das Jugendamt ein.
Teil 1 der Artikelserie:
http://tv-orange.de/2012/12/hat-deutschland-aus-seiner-unruehmlichen-vergangenheit-nichts-gelernt/Teil 2 der Artikelserie:
http://tv-orange.de/2012/12/gustl-mollath-ist-kein-einzelfall-die-erlebnisse-von-professor-christidis/Teil 3 der Artikelserie:
http://tv-orange.de/2012/12/ihr-kinderlein-kommet-und-die-sarkastische-wirklichkeit-der-praxis-von-jugendamt-und-justiz